Die Bedeutung der Handschrift

Welche Rolle Handschrift im Bildungsbereich spielen sollte, wird wohl noch lange diskutiert werden. Interessante Podcasts zum Thema gibt es mit Henning Lobin im HR2 von 2015 (kurze Version oder lange Version). Meine persönliche Meinung zur Thematik spiegelt eine Grundhaltung wider: Unnötiges über Board werfen und neue Chancen nutzen.

Vorweg möchte ich einmal zeigen, was mit digitaler Handschrift heute möglich ist. Dazu habe ich ein Video mit 40fachem Zeitraffer erstellt, in dem ich eine Mindmap zum Oberstufenstoff der Mathematik anlege. Verwendet habe ich dazu das IPad Pro mit dem Apple Pencil. Die fertige Mindmap gibt es hier: Übersicht Mathe Oberstufe.

 

Ich möchte nicht in die grundsätzliche Diskussion darüber einsteigen, wie wichtig die Erhaltung der Handschrift als Kulturgut oder das haptische Gefühl des Umblätterns für den Lernerfolg ist (oder nicht). Solche Diskussionen halte ich auch nicht für Zielführend. Als sich Handschrift entwickelt hat, ging es schließlich nicht um die Frage, wie Papier riecht. Es ging im Kern ganz einfach darum, Gedanken, Ideen und Geschehenisse festzuhalten. Mit der Entwicklung von Computern gab es über die Tastatureingabe auch eine neue Möglichkeit, diese Gedanken, Ideen und Geschehenisse festzuhalten. Und nun hat die Technologie die nächsten beiden Schritte nahezu gleichzeitig vollzogen. Neben Handschrift und Tastatur gibt es nur Spracherkennung, mit der über das Mikrofon das gesprochene Wort in Text umgewandelt wird und sogenannte Styli (Stylus im Singular), mit denen Handschrift digitalisiert werden kann. Ich stelle mir nun die Frage, ob diese neuen Eingabemöglichkeiten die Tastatur ablösen können und ob wir, wenn die Tastatur denn abgelöst wird, darüber diskutieren werden, wie wichtig der Duft der Tastatur für den Lernerfolg war.

Zu diesem Zweck habe ich einmal versucht, Vor- und Nachteile für die vier Schreibvarianten zusammenzutragen:

Digitale Handschrift als Optimum für Lernprozesse

Außerdem habe ich versucht, aus den Vor- und Nachteilen jeweils einen Einsatzzweck zu schlussfolgern. Das ist eine rein subjektive Einordnung und sicherlich diskutabel. Einen besonderen Fokus möchte ich aber darauf legen, dass die digitale Handschrift die besten Voraussetzungen für Lernprozesse mit sich bringt. Hierfür möchte ich auch die einzelnen Argumente ausführlicher darlegen.

  1. Strukturierung
    Das freie Schreiben per Hand (egal ob analog oder digital) ist nicht an einzelne Zeilen gebunden. Wenn ich Themen aufarbeite, beginne ich in der Regel mit einer Mindmap oder einer Sammlung von Ideen. Dabei erhalten Querverweise oder die genaue Platzierung der Worte eine besondere Bedeutung. Dies ist mit der Tastatureingabe nicht möglich.
  2. Visualisierungen
    Besonders wirksam gelernt werden Informationen mit Visualisierungen und Symbolen. Diese mit einer Tastatur zu erstellen ist nur sehr begrenzt möglich, was für die Handschrift spricht. Dies wird im Besonderen jedem deutlich, der schonmal mit einem Formeleditor Gleichungen mit Matritzen oder Doppelbrüchen per Tastatur und Maus eingeben wollte.
  3. Umstrukturierung und Korrektur
    Meine Ideensammlungen und Mindmaps ergänze und bereichere ich später mit weiteren Details, strukturiere sie um, bringe sie in einer richtige Reihenfolge, streiche unnütze Punkte wieder raus. Würde ich diese Mindmap auf einem Blatt Papier machen, müsste ich fünf oder sechs oder sogar mehr Mindmaps immer wieder neu erstellen. Mit der digitalen Handschrift kann ich meine Gedanken jederzeit umstrukturieren und verschieben. Hervorhebungen kann ich machen oder direkt wieder entfernen. Diese Art des Sammelns und Strukturierens von Informationen entsprich genau der Funktionweise unseres Gehirns. Parallel zu meinen eigenen Strukturierungsdurchgängen auf dem digitalen Papier werden die Synapsen in meinem Gehirn verknüpft, was den Lernerfolg maximiert. Wenn ich dann mit der Sammlung und Strukturierung fertig bin, kann daraus immernoch ein Text mit Hilfe der Tastatur entstehen.
  4. Alle digital festgehaltenen Notizen und Informationen sind jederzeit abrufbar und liegen nicht in Ordnern im Büro rum. Sie können schnell abgerufen, kopiert und versendet werden und unterliegen nicht dem Verschleiß, den ein Nozizheft aufzeigt.

Es bleibt aber zu sagen, dass das Anfertigen digitaler Notizen genauso gelernt werden muss, wie das schöne Schreiben auf Papier oder das schnelle Tippen an einer Tastatur. Außerdem muss die digitale Handschrift durch die anderen Varianten ergänzt werden. Soll aus der Ideensammlung ein professioneller Text entstehen, führt letztlich kein Weg an der Tastatur vorbei.

Mein Workflow

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf stellt sich die grundlegende Frage, wie man mit digitaler Handschrift zielführend arbeiten kann. Dazu gibt es verschiedene Youtuber, die regelmäßg Software vergleichen und Tipps und Tricks zeigen. Sehenswert sind zum Beispiel Lars Bobach und Tom Solid. Auf diesen Kanälen gibt es auch regelmäßig Infos zu neuen Features der einzelnen Programme. Einen kleinen Eindruck, wie ich und meine Schülerinnen und Schüler die Mitschriften aus dem Unterricht anlegen, möchte ich hier dennoch kurz zeigen.

Haupstsächlich arbeite ich auf meinem Ipad mit GoodNotes. Hier kann ich Ordner und Notizbücher mit verschiedenen Hintergründen anlegen und hinterher beschreiben. Außerdem kann ich alle Dateien direkt als PDF-Dokumente in meiner Dropbox synchronisieren. Im Notizbuch selbst kann ich jedes beliebige PDF-Dokument als Hintergrund einfügen. Dies ist ein für mich besonders wichtiges Feature, da es mir ermöglicht, Lehrpläne oder Hausarbeiten zur Überarbeitung direkt in mein Notizbuch einzufügen. Ich kann direkt Anmerkungen machen oder eine weitere Seite einfügen, um ausführlichere Notizen zu machen.
Besonders interessant wird es dann bei den Textbearbeitungsfeatures. Neben dem Schreiben von Notizen habe ich die Möglichkeit, mit dem Geometrie-Tool Rechtecke, Ellipsen und andere Formen direkt einzuzeichnen. So kann ich ohne Lineal Koordinatensysteme oder Schrägbilder zeichnen. Das wichtigste Tool ist aber das Lasso. Damit kann jede Information neu strukturiert, in der Größe oder Farbe verändert und angeordnet werden. Ich nutze deshalb Goodnotes in erster Linie zum Sammeln und strukturieren von Informationen und nicht zum Schreiben zusammenhängender Texte. In kürzester Zeit ist ein Diagramm, eine Mindmap, eine Tabelle oder eine Wordcloud erstellt und mit verschiedenen Farben und Stiftstärken können Anmerkungen und Hervorhebungen gemacht werden. Es gibt auch eine Möglichkeit, die Handschrift direkt in Text umzuwandeln. Dies funktioniert abhängig von der Schrift mehr oder weniger gut.

Ein besonderen Wert hat die Funktion, meine Zeichnungen direkt kopieren und in andere Programme einfügen zu können. Neben GoodNotes verwende ich für Fließtexte Word und nun kann ich die Zeichungen per Drag and Drop von einem Programm ins andere ziehen und in meine längeren Texte auch selbsterstellte Abbildungen einfügen. Die Word-Texte werden dann synchronisiert und sind über die Cloud direkt von meinem Haupt-PC zu Hause aus abrufbar.

Eine App mit anderem Schwerpunkt ist PDF-Expert. Diese ist in den Bearbeitungs-Features nicht ganz so ausgeprägt wie GoodNotes. Allerdings lassen sich hier verschiedene Dokumente leichter verwalten. GoodNotes will hier gleich jede Datei in ein Notizbuch umwandeln und kann deshalb mit Bildern nur bedingt und mit Audio-Dateien gar nicht arbeiten. Selten nutze ich Außerdem MyScript Nebo um Formeln zu erstellen.

Meine Traum-App

Abschließend möchte ich App-übergreifend meine Lieblingsfunktionen der Software vorstellen und beschreiben, wie meine Traum-App aussehen würde. Ich habe je ein App hinterlegt, die diese Funktion bereits hat. Das heißt allerdings nicht, dass andere Apps diese Funktion nicht auch hätten.

  • intuitive Organisation von Notizbüchern und Seiten (wie GoodNotes)
  • Einbindung in eine Dateiverwaltung (wie Documents/PDF-Expert)
  • Geometrie-Tool (wie GoodNotes)
  • abschaltbare Cloud-Funktion  (wie GoodNotes)
  • verschiedene und schöne Schriftbilder (wie Noteshelf)
  • Umwandlung von Formeln und Diagrammen (wie Nebo)
  • Integration von Hyperlinks (wie OneNote)
  • Integration von Sprachaufnahmen (wie Noteshelf)
  • Integration anderer Dokumente (wie OneNote)
  • Fließender Übergang zwischen getipptem und geschriebenem Text (wie Word)
  • Einbindung und unkomplizierter Austausch individueller Seitenformate und Hintergründe (wie Goodnotes)
  • endlos skalierbare Hintergründe (wie Explain Everything)
  • Liveaufnahme der Mitschrift (wie ExplainEverything)
  • Verschiedene Exportmöglichkeiten (wie GoodNotes)
  • Backup als PDF (wie Goodnotes)

Zum weiterlesen / -schauen:

Am nächsten kommen dieser Vision aktuell GoodNotes und auch die neuen Zeichenfunktionen in Word.

Ich freue mich über Hinweise, Ergänzungen, Kommentare und Feedback an: kontakt@jenslindstroem.de
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