Mathe, Medien, Lehrkräftebildung

Unterricht in einer Tabletklasse

Das Unterrichten in einer Tablet-Klasse ist für die meisten Lehrkräfte Neuland. Dabei warten viele Fallen und Stolpersteine. Mit den folgenden Hinweise möchte ich eine Orientierung beim Start einer Tablet-Klasse geben.

Tipps:

Kleine Schritte machen
Der Einsatz neuer Geräte muss von Lehrenden wie Lernenden erprobt werden. Den ganzen Unterricht auf den Kopf zu stellen, wäre dabei kontraproduktiv. Stattdessen sollte eine langsame Eingewöhnung statt finden. Zu Beginn des Schuljahres startet man am Besten wie gewohnt ganz ohne Geräte, um ohne zusätzlichen Druck in das Schuljahr hinein zu kommen. Danach erweitert man langsam die Möglichkeiten mit Einsatzmöglichkeiten, die in der Regel auf jedem Gerät problemlos funktionieren, wie z.B. das Fotografieren von Baumgattungen oder die Recherche im Internet. Erst später, wenn alle Schülerinnen und Schüler den grundlegenden Umgang mit den Geräten Beherrschen, sollten besondere Apps installiert werden.

Genügend Zeit geben
Wie lange der Prozess dauert und wie lange die Lerngruppe für die einzelnen Schritte benötigt, ist unterschiedlich. Insbesondere hängt dies auch von der Zusammenarbeit der Kollegen ab. Je häufiger ein Medium eingesetzt wird, umso besser beherrschen es die Lehrenden und Lernenden und umso verlässlicher und schneller kann man im Unterricht darauf zugreifen. Deswegen empfehle ich einen täglichen Einsatz des Gerätes, wenngleich auch nur für eine sehr kurze Phase im Unterricht.

Begleitung der Schritte
Der Begriff „Digital Natives“ wird stark kritisiert, da er impliziert, dass Kinder und Jugendliche mit Medienkompetenz auf die Welt kommen. Das könnte allerdings nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. Kinder und Jugendliche verbringen viel Zeit mit digitalen Geräten. Deshalb haben sie eine starke „Anwenderkompetenz“ entwickelt. Das heißt, sie können sehr gut mit digitalen Geräten umgehen und das oftmals auch besser, als ihre Lehrkräfte. Tatsächliche Medienkompetenz geht darüber aber weit hinaus. Digitale Medien müssen zielgerichtet und reflektiert genutzt werden. Am Beispiel einer Internet-Recherche müssen die Lernenden wissen, welche Suchstrategien und Suchwerkzeuge es gibt, wie sie ihre persönlichen Datei dabei nicht preisgeben, wie sie sich z.B. vor pornografischen und gewaltverherrlichenden Inhalten schützen können und wie sie die gesuchten Informationen Filtern und zur weiteren Verwendung festhalten können. Das können die Lernenden nicht und wünschen sich sogar ausdrücklich mehr Unterstützung von ihren Lehrkräften (SINUS 2016). Deshalb muss jeder kleine Schritt auch entsprechend begleitet werden. Vor der ersten Internetrecherche werden ohne Geräte Verhaltensregeln aufgestellt. Dann diskutiert man über die Verwendung verschiedener Suchmaschinen und deren Vor- und Nachteile. Am Besten einigt man sich auf eine und schaltet (wenn vorhanden) einen Jugendschutzfilter bei der Suche ein. Danach wird besprochen, welche Suchbegriffe sich für die Suche eignen und woran man unter den tausenden Suchergebnissen erkennt, welches angeklickt werden sollte. Klar könnte man auch einfach sagen „Macht mal!“ und irgendwie wird es schon klappen. Das erstickt aber die Medienkompetenz der Lernenden und fördert die unreflektierte Nutzung digitaler Medien.

Diversität zeigen
In einem (Klassen-)Kollegium wird es immer unterschiedliche Charaktere geben, die auch verschiedene Haltungen gegenüber digitalen Medien einnehmen. Oftmals wird nun in hitzigen Diskussionen versucht, alle von der eigenen Meinung zu überzeugen. In meinen Augen lebt Schule von der Verschiedenheit von Schülerinnen und Schülern und insbesondere auch der Verschiedenheit der Lehrkräfte. Die Lernenden brauchen Vorbilder, die Chancen mit digitalen Medien aufzeigen. Sie brauchen aber auch Vorbilder, die den Medien kritisch gegenüber stehen. In diesem Spannungsfeld können sie dann ihren eigenen Standpunkt finden.

Schwerpunkte setzen
Der richtige Umgang mit digitalen Medien erfordert Medienkompetenz. Diese greifbar zu machen, ist aber nicht so leicht. Insbesondere auch, weil man viele Kompetenzen benötigt, um Medienkompetenz zu sein. Dies geht von der Anwenderkompetenz über einen gesunden Umgang bis hin zur Nutzung für das produktive Arbeiten und den Schutz der eigenen Privatsphäre. Eine einzelne Lehrkraft kann das nicht alleine schaffen. Und das würde die Zeit auffressen, die benötigt wird, um auch Fachkompetenz im jeweiligen Unterrichtsfach zu vermitteln. Deshalb muss sich das Klassenkollegium einer Tablet-Klasse untereinander abstimmen. Da Medienkompetenz letztlich nicht nur Lernende mit einem Tablet betrifft, müssen sich genau genommen alle Fachschaften untereinander abstimmen. Dies klappt besonders gut als ein Prozess, der im Klassenkollegium einer Tablet-Klasse beginnt und sich dann auf die ganze Schule und alle Fachschaften ausweitet.

Langfristige Planung
Der Einsatz neuer Medien (ob digital oder nicht) erfordert eine entsprechende Qualifizierung des Lehrpersonals. Darüber hinaus ist auch eine gewissen Infrastruktur von Nöten, die installiert und getestet werden muss. Es müssen detaillierte Absprachen zwischen den Kollegen getroffen und Inhalte abgestimmt werden. All das sollte im Optimalfall vor dem ersten Einsatz der Geräte statt finden und entsprechend ist eine langfristige Planung nötig.

Kommunikation aller Beteiligten
Tablet-Klassen werden häufig als Projekt oder sogar Experiment betrachtet. Deshalb kann bei Lehrenden, Lernenden und Eltern das Gefühl entstehen, ein Versuchskaninchen zu sein. Zentral für eine reibungslose Zusammenarbeit ist eine gute Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Die Schulleitung sollte sich Regelmäßig mit den Lehrkräften zusammensetzen und Schwierigkeiten und Unsicherheiten besprechen. Das ist nicht nur für die Lehrkräfte wichtig, um handlungsfähig zu sein. Insbesondere gibt es auch der Schulleitung ein detaillierteres Bild davon, wie das ausgearbeitete Konzept funktioniert.

Der äußere Rahmen

Schließfächer
Digitale Endgeräte haben häufig einen Wert im Bereich von über 100€. Deshalb brauchen Lernende eine Möglichkeit, diese Geräte sicher zu verstauen. Dies bezieht sich nicht nur auf die Pausen. Auch Freistunden und Sportstunden müssen bedacht werden. Werden die Klassenräume zuverlässig abgeschlossen? Sind die Umkleidekabinen verschließbar? Wie sieht es in der Mittagspause aus? Wie viel Zeit brauchen die Lernenden, um die Geräte einzuschließen und herauszuholen?

Ladestationen
Ein Möglichkeit, die Geräte zu laden, ist dann von Nöten, wenn die Akkulaufzeit nicht den Schultag überdauern kann.

Verantwortung
Die Lernenden sollten von Anfang an Verantwortung für das eigene Gerät übernehmen. Sie müssen dafür sorgen, dass das Gerät einsatzbereit ist.

Präsentationsgeräte
Die mit den digitalen Geräten erstellten Arbeitsergebnisse, müssen präsentiert werden können. Ein einfaches HDMI-Kabel eventuell mit Adapter für das entsprechende Gerät ist eine unkomplizierte und oft unterschätzte Wahl. Drahtlosvarianten sind häufig teuer. Sehr beliebt sind aktuell Dokumentenkameras, mit denen Arbeitsergebnisse von Bildschirmen wie auch von Heften und Zetteln oder gar Ergebnisse handwerklicher Arbeit präsentiert werden können.

Lernplattform
Sollen die Lernergebnisse gespeichert und länger verfügbar gemacht bzw. später weiter bearbeitet werden, ist eine Lernplattform sehr nützlich. Dort können Dateien jeglicher Art abgelegt werden. Darüber hinaus kann eine Gruppeneinteilung festlegen, wer auf welche Dokumente zugriff hat. Die Möglichkeiten heutiger Lernplattformen sind nahezu grenzenlos und gehen teilweise soweit, dass sie nicht mehr Konform mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sind. In jedem Fall ist der Einsatz einer Lernplattform langfristig in Zusammenarbeit zwischen Schulleitung und Schulträger zu planen.

Schadensfall
Es kann durchaus passieren, dass mal ein Gerät kaputt geht. In diesem Fall sollte vorher geklärt sein, wer in welchem Schadensfall aufkommt. Zur Absicherung gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. Zum einen gibt es Unternehmen, die sich auf die Ausstattung von Schulen mit Geräten spezialisiert haben und mit dem Gerät auch Versicherung und Finanzierung anbieten. Auch sind Ersatzgeräte im Schulgebäude denkbar. Wichtig ist, dass im Schadensfall die Lernenden und Eltern nicht allein gelassen werden. Ein Infoblatt mit einer klaren Vorgehensweise und Ansprechpartnern bietet sich an. Einige Schäden werden auch von der Hausrat- oder Haftpflichtversicherung abgedeckt.

Umgangsregeln
Ein Verhaltenskatalog mit klar definierten Regeln ist unumgänglich. Dies dient zum einen den Lernenden in der Tablet-Klasse zur Orientierung und den Lehrern in der Klasse zur Absicherung. Andererseits führt eine Tablet-Klasse oftmals auch im restlichen Kollegium zu Unsicherheit. Gilt für Schüler/innen in der Tablet-Klasse auch die Hausordnung und das Telefon-Verbot auf den Fluren? Die Antwort ist für viele Kollegen, die nicht in dieser Klasse arbeiten (und es vielleicht auch nicht wollen) nicht so eindeutig. Im Besonderen Vertretungsstunden können für den Vertretungslehrer zu einer Herausforderung werden. Eine Tablet-Klasse braucht einen klar vorgegebenen Verhaltensrahmen. Selbst wenn dieser Rahmen letztlich der gleiche ist, der für alle anderen Lernenden auch gilt, ist es wichtig, dass dieser nochmal eindeutig und unmissverständlich aufgeschrieben wird.

NoGos:

Produkte nicht in den Mittelpunkt stellen
Gefühlte 90% der Tablet-Klassen nutzen Ipads. Wenige Diskussionen im Themenfeld digitale Medien sind so emotional aufgeladen, wie die Diskussion um das Betriebssystem. Solche Diskussionen sind kraftraubend und nicht zielführend. Wichtig ist zum einen, dass die gewählten Geräte an die Bedürfnisse im Unterricht angepasst sind. Zum anderen sollte die gewählte Marke nicht im Mittelpunkt stehen. Deshalb ist „Tablet-Klasse“ die besser Wortwahl als „IPad-Klasse“.

Tablet-Klassen nicht gesondert betrachten
Die Einführung digitaler Medien in der Schule hängt an vielen Befindlichkeiten und vor allem an Ängsten. Eines sollten von Beginn an klar sein: die Verwendung eines anderen Mediums berechtigt nicht zu Sonderstellung bei Klassen oder einzelnen Lernenden. Für alle gilt die gleiche Hausordnung. Für alle gelten die selben pädagogischen Maßnahmen und Ordnungsmaßnahmen bei einem Fehlverhalten. Wenn es besondere Regeln für eine Tablet-Klasse geben soll, dann nicht in einem eigenen Regelkatalog. Vielmehr muss die Hausordnung so angepasst werden, dass sie die unterrichtliche Nutzung digitaler Medien für alle gleich zulässt.

Nicht alles selber machen wollen
Wie bereits unter „Schwerpunkte setzen“ angesprochen, ist die Zusammenarbeit zwischen Kollegen und eine sinnvolle Koordination und Aufgabenverteilung sinnvoll. Eine zentrale Chance der Arbeit mit digitalen Medien ist es, die Selbstständigkeit der Lernenden zu fördern. Wie gesagt besitzen diese oftmals mehr Anwenderkompetenz als die Lehrkräfte selbst. Deshalb können sich Lehrkräfte und Lernende in dieser Situation optimal ergänzen. Überträgt man ihnen entsprechende Aufgaben, stärkt man ihr Selbstvertrauen und bietet viele Gelegenheiten zum sozialen Lernen. Die Chance für die Lernenden sollte nicht unterschätzt werden, zumal es auch die Lehrkräfte entlasten kann. Langfristig gesehen können sogar Programme wie Medienscouts eingerichtet werden, in denen die Lernenden sich bei Problemen in einer AG helfen oder in jeder Klassen Schüler/innen speziell für den Umgang mit den Medien vor Ort geschult werden. Das kann für die Lehrkräfte noch mehr Entlastung bringen.

Die Lernenden nicht unterschätzen
„With great power comes great responsibility.“ Das wusste schon Onkel Ben. Dass Lernende die Geräte zum Spielen oder sogar für Betrugsversuche nutzen können, ist denkbar. Lehrkräfte sollten deshalb (wie eigentlich immer) aufmerksam im Klassenzimmer sein, ihre Aufsicht gewissenhaft wahrnehmen. Die Ich-Du-Wir Methode ist dabei aber nach wie vor mein liebstes Mittel im Unterricht. Durch die Wir-Phase, in der jeder Lernende potentiell zur Präsentation seiner Arbeitsergebnisse aufgefordert werden kann, schafft Verbindlichkeit. Wenn jemand heimlich mit dem Tablet spielt, fällt er so hinterher auf die Nase, weil er keine Arbeitsergebnisse vorzuweisen hat. Das stärkt wiederum das Verantwortungsbewusstsein der Schülerinnen und Schüler.

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Beitragsbild von https://www.shz.de/lokales/norddeutsche-rundschau/auf-dem-weg-zur-schule-von-morgen-id17113586.html (abgerufen am 16.08.2018)

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